Im Aufstieg zur Grand-Mulets-Hütte. Links Mont Blanc (4807m), rechts Dome de Gouter (4304m)

Mont Blanc, 4807m

Mit Skiern auf den höchsten Berg der Alpen

Von Constanze Klotz-Steinborn

Wie bei jeder großen Fahrt gibt es auch dieses Mal einiges zu berichten: Zwei waren gleich gar nicht zum vereinbarten Treffpunkt erschienen, und dann mußten wir nach 500m schon wegen eines vergessenen Ausweises umkehren. So fuhren drei Zweier-Grüppchen getrennt gen Chamonix: Toni und Martin waren so fasziniert von der Ansicht der Berge, daß sie gleich mal gen Kempten fuhren, dann aber dank ihres schnellen Autos doch als Erste das Ziel erreichten.

Regen begrüßte uns dort, wie angekündigt. Die Wetterberichte hatten übereinstimmend nur für morgen (Montag) und Dienstag gutes Bergwetter gemeldet. Glauben mochte das aber abends noch kaum einer von uns, bei anhaltendem Dauerregen. Morgens um 6.00 Uhr dann strahlendes Wetter. Der Hektik auf dem Campingplatz folgte ein unfreiwilliges, eineinhalbstündiges Warten auf die erste Seilbahn. Erst mußten die Seile der Midi Bahn enteist werden, bevor man uns Touristen in die Höhe schweben ließ. In der Gondel befanden sich neben japanischen Touristen etliche Hoch-Touristen mit Seil, Pickel und Steigeisen sowie ein von etlichen bestauntes Grüppchen, das sich zusätzlich mit Ski und Fellen beladen hatte. Diese Gruppe bestand aus: Hans Mau, Anton Sellmeir, Martin Huber, Georg Lenz, Constanze Klotz und dem Ski-Touristen-Führer Michael Grötsch. Wer uns kennt, mag sich an den Bildern ergötzen, die anderen dürfen ebenfalls lachen. Frohen Mutes und schwitzend ging es mal skitragend, mal fellschlurfend unter den steilen, lawinösen Hängen der Aiguille du Midi entlang.

Aufbruch von der Seilbahn-Mittelstation. Rechts die Aiguille du Midi
Abendstimmung an der Grand-Mulets-Hütte (3051m) Abenteuerlich die Querung der "Jonction", des großen Zusammenflusses zweier Gletscher. Da ist man/ frau plötzlich dankbar für das Seil, das ansonsten eher als lästig empfunden wird. Nach wenigen Stunden ist das Etappenziel erreicht: "Refuge du Grands Mulets", eine unter Alpinisten ebenso beliebte wie gefürchtete Hütte: Beliebt, da für die Skibesteigung des Mont Blanc einzig mögliche Bleibe, gefürchtet, da zur Saison mehrfach überbelegt. Manch eine(r) der Leserinnen erinnert sich jetzt vielleicht an "ähnlich heimelige" hochalpine Hütten ohne Wasser, wie zum Beispiel Domhütte, Cabane des Dix, Monte-Rosa-Hütte und bedauert uns bereits. Von wegen! Wir genießen einen herrlichen Nachmittag alleine auf der Hütte. Später treffen noch zwei Schwaben ein, die von 50 cm Neuschnee oben am Grat erzählen. Oberhalb der Hütte (3050m) sei der Schnee gut, erzählt uns der sehr freundliche Hüttenwirt, die Bedingungen sind also bestens. Ich bleibe aber skeptisch bezüglich des Gipfelsieges, erstens weiß man nie und zweitens ist das mein zweiter Anlauf. Und ich kenne Leute, die schon dreimal da, aber noch nie oben waren.

Mitternacht. Rringrrring. Um diese Uhrzeit gehe ich sonst erst ins Bett. Zum Glück habe ich, wie die meisten anderen auch, so schlecht geschlafen, daß ich gerne aufstehe. Was treibt einen eigentlich dazu, mitten in der Nacht aufzustehen und im Dunkeln am Seil über (Gletscher-) Spaltenbrücken stolpernd einen Gipfel zu erobern? Als der Morgen graut, laufe ich nur noch rein mechanisch, so müde bin ich. Wir haben uns über "petit et grand plateau" schon gut 1000 Höhenmeter hochgearbeitet, optisch scheint der Gipfel nah, der Hang bis zur Vallothütte wird zur Geduldsprobe, scheint kein Ende zu nehmen.

Im Morgenlicht oberhalb des Grand Plateau auf ca. 4200m
Alptraum Vallot-Hütte (4362m) Vallothütte, 4362 m, der Alptraum einer Biwakschachtel, Aber auch ein wichtiger, ja lebensrettender Stützpunkt für viele, wenn hier oben die Stürme toben. Immerhin sterben jährlich über 50 (!) Menschen an diesem Bergmassiv. Durch den igluartigen Einstieg gelangt man in einen völlig mit Alu-Riffelplatten ausgekleideten Raum. Das in den Raum integrierte "Klo" tränkt die Hütte geruchsmäßig, der von lieben Mitmenschen zurückgelassene Dreck rundet das Bild ab. Aber der Wind bleibt draußen. Gott sei Dank. Wir vermummen uns und stapfen mit Steigeisen weiter. Die Höhe macht sich bemerkbar, das Atmen fällt immer schwerer. Das Wetter sieht gut aus, aber hier am Bosses-Grat toben lokale Winde. Michael, der die ganze Nacht gespurt hat und uns sicher durch die Spaltenzonen gelotst hat, hat sich wohl zu sehr dadurch verausgabt. Er bleibt mit kurzem Atmen und Kopfschmerzen kurz unterhalb des Gipfels zurück, damit wir schneller vorankommen. Zum Glück war er schon mal oben, aber ein Wermutstropfen bleibt.

Mont Blanc: kein Gipfelkreuz, nicht mal ein Vermessungspunkt, nur ein schmaler Grat. Eigentlich ein Berg wie viele andere, wüßte man nicht um seine Bedeutung: Mont Blanc, höchster Berg der Alpen und Europas, 4807 m. Gipfelgruppenfoto, 360°-Fotos und nichts wie wieder runter, denn es ist schon spät am Vormittag. Wie schön sind doch die Touren in den Voralpen mit gemütlicher Brotzeit am Gipfel! Genießen kann man einen solch hohen Berg kaum, das eigentliche Ziel ist ja wieder heil im Tal zu landen. Und inzwischen wird der Schnee weicher und die Spaltensturzgefahr größer. Wir fahren entlang der Aufstiegsroute ab, der Schnee ist wirklich gut und so werden zwischen den Spaltenzonen auf den freieren Hängen immer wieder ein paar Schwünge eingeflochten. Da das Wetter schlecht werden soll, entschließen wir uns an der Mulets-Hütte zur Weiterfahrt. Zum Glück sind im Juni die Lawinen größtenteils schon abgegangen, so daß die Querung zurück zur Plan du Aiguille-Mittelstation auch noch mittags möglich ist. Vorsichtshalber seilen wir zur Querung des Bossesgletschers wieder an, bedingt durch die Wärme tropft es überall und haushohe Eisbrocken ächzen. Um 16.45 Uhr steigen wir in die Seilbahn. 16 Stunden sind wir unterwegs gewesen und insgesamt mehr als 2000 Höhenmeter in großer Höhe aufgestiegen. Es reicht. In wenigen Minuten tauchen wir mit der Bahn ins Tal. Von Chamonix aus können wir teilweise unsere Abfahrtsspuren erkennen. Weit oben. Weit weg.

Endlich: Am Gipfel des Mont Blanc, 4807m

Zum Schluß eine Laudatio auf den "guide": Ich weiß, lieber Michael, Du hast es nicht immer leicht mit uns Tourenteilnehmern (besonders mit mir), weil wir (vor allem beim Abfahren) über dem Genuß gerne die Gefahr vergessen. Wieviel graue Haare Du davon wohl hast? Daß nicht nur ich, sondern auch andere gerade wegen Deiner Sorgfalt gerne mit Dir unterwegs sind, beweist die Zahl Deiner treuen "Fans", die immer wieder mit Dir in die Berge ziehen. Im Namen aller Teilnehmer möchte ich Dir hiermit herzlich danken für die Vorbereitung und gewissenhafte Durchführung der Tour!

Constanze

 

Hans Sterr, 18. Oktober 1998