Expedition zum Blinnenhorn, 3347m

Ein Berg (fast) nur für Spitzenbergsteiger

Von Hans Sterr

Der Blinnenhorn-Gipfel
   
Cascata del Toce - "in Betrieb"Da war’n wir also im Urlaub im Wallis, um ein paar Viertausender zu schnupfen – und dann hat uns das Wetter geschnupft: An vernünftige Bergtouren ist nicht zu denken. Ergebnis: nach einer Woche durchwachsener Witterung erfolgt die Flucht über den Simplon ins als sonnig angekündigte Piemont.

Nun ja: Auch da werden sich wohl interessante Berge finden lassen; sagn mer zumindest mal. Also: Karten durchforstet, Berge ausgesucht. Erst fiel die Wahl auf den Monte Leone. Der Anruf auf der Hütte ergibt die Auskunft des Hüttenwarts: „Där ischt abär sär schwär!“ Ja dann ... gehn ma halt woanders hin.

Also wieder Kartenstudium. Und diesmal gleich vom Günter in der AV-Geschäftsstelle in Erding die Tourenbeschreibungen aus den Führern durchgeben lassen (danke für die guten Nerven, Günter!), und dann ist klar: Das Blinnenhorn wird’s werden.

Freundliche Hilfe in RialeAlso wird gepackt, und wir fahren durch das Valle Antigorio und das Val Formazza bis nach Riale, wo das Auto geparkt wird. (Auf dem Weg dorthin nicht versäumen, sich die Cascata del Toce anzusehen – aber vorher unbedingt nachfragen, wann der Wasserfall „in Betrieb“ ist, weil die Wasserwerke die meiste Zeit das Wasser zur Stromgewinnung ableiten und das verbleibende Rinnsal weit weniger beeindruckend ist.) In Riale angekommen werden wir sehr gastfreundlich behandelt: Eine Parkplatzwächterin bemüht sich rührend, ausdauernd und letztlich erfolgreich, für uns Plätze auf dem Rifugio Claudio e Bruno zu reservieren.

Wir Spitzenbergsteiger würden jetzt sofort mit dem Aufstieg beginnen, aber ein Shuttle-Bus wird uns angeboten, der uns kostenlos bis zum Lago di Morasco hochfahren würde. Wir überwinden uns und nehmen das Angebot an (nicht ohne für den örtlichen Skiclub zu spenden, der den Shuttle betreibt).

An der Staumauer des Lago del SabbioneAber dann geht’s echt los, und wir steigen über das Valle di Morasco zum Rifugio Citta di Busto auf. Dort kehren wir ein; Tee und Minestrone (sehr gut!) wird geordert. Und dass eine Gruppe Bergsteiger sich als Chor entpuppt und einige Lieder singt, erfreut uns zusätzlich (auch wenn die Tenöre schon weinbedingte Stimmschwankungen aufweisen). Aber dann bricht draußen der Himmel auf, und es schüttet gnadenlos. Bleim ma halt no a wengerl sitzen ...

Als der Regen wieder aufhört, brechen wir sofort auf (den Spitzenbergsteiger in seinem Lauf hält weder Gesang noch Regen auf) und machen uns auf den Weiterweg. Übrigens: Die Citta di Busto dürfte die einzige Hütte auf einer solchen Höhe mit eigenem Fußballplatz und Volleyballfeld sein ... Zehn Gehminuten von der Hütte entfernt geht der Regen wieder los; je weiter wir kommen, desto stärker. Da ein Spitzenbergsteiger sich aber immer auf den (guten) Wetterbericht verlässt, hat er aber nur ein dünnes Radljäckchen gegen den Regen bei sich. Gewicht sparen!

Egidio, einer der besten Hüttenwirte!Mangelnden Regenschutz gleicht der Spitzenbergsteiger durch Geschwindigkeit aus, wodurch die Zungen der Mitspitzenbergsteiger schnell weit heraus hängen. Auf Höhe des Lago di Sabbione ist klar: Bis zum ursprünglichen Ziel wird’s heut nix mehr. Aber da gibt’s ja Hütten ... also rüber über die Staumauer und kurz rauf zum Rifugio Cesare Mores. Als der Spitzenbergsteigeranführer die Hütte betritt, gibt’s den Fremder-betritt-den-Saloon-Effekt: Wie schaut denn der aus ... „Siamo stanchi!“ Na ja, eigentlich eher nass denn müde – aber wie heisst nass auf italienisch? Außerdem: Dass wir nass sind, kann man ja eh nicht übersehen. Die Hütte ist ohnehin nur schwach belegt, und deshalb hat der Wirt, Egidio, noch genügend Platz für uns.

Und das muss gleich gesagt werden: Wer da mal hinkommt, möge sich vom Äußeren der Hütte nicht abschrecken lassen (was, zugegeben, zunächst nahe läge). Denn drin wartet ein super Essen und ein gut ausgestattete, gemütliche Hütte mit einem der besten Hüttenwirte überhaupt. Ausprobieren!

Auf dem Weg zum Blinnenhorn, hinten das HohsandhornDass das Wetter irgendwann mal besser werden könnte, ist abends kaum zu glauben, aber am nächsten Morgen ist der Himmel sternenklar. Also auf geht’s!

Wir steigen entlang des Lago del Sabbione auf zur Claudio e Bruno (Egidio hatte angerufen und unser Ausbleiben gemeldet), wo wir eine kurze Morgenrast machen, bevor es an den eigentlichen Aufstieg geht. Und der führt zunächst ewig lang über (noch) gefrorene Geröllhänge ... he! Auf der Karte und im Führer ist das ein Gletscherberg! Erst ziemlich weit oben gibt es dann endlich die Möglichkeit, über einen Kamm auf den Gletscher zu queren und endlich die von den Spitzenbergsteigern mitgeführte Ausrüstung anzuwenden: Spitzenbergsteiger auf schwierigstem GletscherterrainGurte, Pickel, Steigeisen, Karabiner, Seil ... und dann ziehen wir los, am linken Rand des Gletschers entlang (im Führer steht, dass man „günstig über den Rothornpass“ gehen soll, aber Egidio sagt, dass es dort jetzt die meisten Spalten hat – deshalb links entlang).

Nach kurzer Zeit auf dem flachen Gletscher kommen wir um eine Biegung und sehen das erste Mal den eigentlichen Gipfel – und können es kaum glauben: Karte und Führer weisen das Blinnenhorn als bis oben hin vergletschert aus, aber vor uns erhebt sich für die letzten hundert Höhenmeter ein – ja, wie soll man das nennen? Sandhaufen! Aber ein Spitzenbergsteiger lässt sich nicht irritieren und nutzt jeden Meter Firn im Anstieg, bis wirklich nur noch Sand unter den Steigeisen knirscht.

Blinnenhorn-Gipfel mit allerlei GerätDer Gipfel schaut dann wieder ganz anders aus: Es hat sich oben ein Kern von Felsen erhalten, auf den die Italiener einen großen Altar aus Stein gestellt haben (sicher eingeflogen, denn Steine gibt es dort oben nicht, und schon gar nicht dieser Größe), und daneben noch aus Metall eine Madonna und einen Adler. Die Aussicht von dort oben ist überwältigend: Vom Monte Rosa über Mischabel und Mont Blanc bis zu den Berner Alpen und dem Furka-Sustengebiet gibt’s alles zu sehen.

Da sitzen wir dann bei der Brotzeit in voller Montur und Ausrüstung und denken schon, dass wir alleine sein werden am Gipfel, als doch noch ein Italiener zu uns stößt. Allerdings kein Spitzenbergsteiger: Denn der kommt in kurzer Hose und in Begleitung eines Hundes. Amateur! Und fotografieren lässt er sich auch noch von uns ...

Spitzenbergsteiger mit Weitsicht und voller AsurüstungDa steigen wir doch lieber wieder ab, ziehen auf Wunsch einiger Spitzenbergsteiger wieder die Steigeisen an, seilen uns an und gehen zurück über den flachen, praktisch spaltenlosen Gletscher. Ja gut, man hätte auch seitlich auf dem Geröllkamm völlig gletscherfrei runter gehen können, aber damit wären wir Spitzenbergsteiger ja völlig unterfordert.

Als wir dann den Gletscher wieder zur Geröllflanke verlassen, kommt uns eine halbe Völkerwanderung entgegen; und alle sind sie völlig unzureichend ausgerüstet, also ohne Seil Pickel, Steigeisen etc. Die Frage, wie weit es noch sei, beantworten wir stereotyp mit „mindestens 2 Stunden, brutal schwer, eigentlich nur für Spitzenbergsteiger machbar“. Wir wollen ja niemanden zum Leichtsinn verleiten ...

Dann kommen wir auf der Claudio e Bruno an und möchten gerne ein Bier trinken, was aber nicht geht, denn das Hüttenpersonal: „Wir essen gerade. Kommt in einer Stunde wieder.“ Eine Berghütte mit teutscher Prinzipientreue, eingerichtet mit dem Charme einer Bahnhofshalle. Dann gehn ma liaba wieda ... Bergsteiger unserer Klasse haben das nicht nötig, und wir freuen uns, dass wir die Nacht bei Egidio auf der Cesare Mores waren.

Wir erreichen den Stausee, nutzen wieder den Shuttle hinunter nach Riale und beenden unsere Tour – mit zwei Tipps für Leute, die auch mal auf’s Blinnenhorn wollen: Nie einen Berg unterschätzen, und immer die volle Ausrüstung dabei haben – vielleicht sogar eine Regenjacke!

   

Die Spitzenbergsteiger:
Claudia und Wolfram Honsberg, Hanne Riepold,
Sonja Schupsky, Moni Hofer, Erich Schulze, Hans Sterr