Hochtouren in der Bernina

 

Von Peter Gebel

Unter Leitung des Fachübungsleiters Hans Sterr organisierte der Alpenverein Erding im August eine Gletscherhochtour in der Bernina (Schweiz) . Vorgesehen war die Besteigung von mehreren Dreitausendern, der höchste Gipfel war der Piz Morteratsch mit 3751 m.

Am Samstag, 29.7.2000,  trafen wir uns um 5 Uhr morgens beim Lindenwirt in Aufhausen zur Abfahrt. Mit 2 Fahrzeugen fuhren wir, das waren 5 Männer und eine Frau im Alter zwischen 19 und 58 Jahren, über die Autobahn Lindau in die Schweiz, durch das Engadin, vorbei an St. Moritz in Richtung Süden nach Pontresina und von dort zu unserem Parkplatz in Morteratsch. Dort packten wir unsere Ausrüstung in den Zug und fuhren wieder 2 Stationen zurück nach Pontresina. Die ersten beiden Marschstunden wollten wir uns eigentlich mittels Pferdekutschen ersparen, da jedoch alle Kutschen ausgebucht waren, machten wir uns schließlich doch zu Fuß auf den Weg durch eine herrliches Tal, entlang eines romantischen Gebirgsbaches bei strahlendem Sonnenschein bis zum Hotel Roseggletscher. Nun ging es langsam steiler hinauf, ca. 2,5 Std. bis zur 2610 m hoch gelegenen Coaz-Hütte, die nach dem Topographen und Erstbesteiger des Piz Bernina, Johann Coaz, benannt wurde. Als Lohn für die erste Anstrengung bot sich uns dort ein gigantischer Ausblick auf den Roseggletscher, den Sellagletscher, Piz Roseg, La Sella, La Muongia und den Il Capütschin. Doch kaum saßen wir in der Hütte zusammen, kam dichter Nebel auf und es wurde kalt und windig.

Der Wetterbericht hatte für die nächsten Tage aber klares Wetter angesagt und so gingen wir frühzeitig auf unser Lager, das für maximal 80 Personen ausgelegt ist und mit 98 Gästen etwas überfüllt war. Doch wir schliefen auch auf beengtem Raum gut, gestärkt durch ein reichhaltiges Abendessen und in Gedanken schon bei den bevorstehenden Gipfelbesteigungen der nächsten Tage.

Am Sonntag morgen um 5 Uhr hieß es dann aufstehen, frühstücken, Marsch-Tee abfüllen und Abmarsch um 6.20 Uhr. Unser heutiges Tourenziel war die Besteigung es Il Capütschin (das heißt „der Kapuziner" auf rätoromanisch) mit 3386 m. Die erste Viertelstunde bis zum Gletscher bewegten wir uns noch auf normalem Gelände, doch dann wurden Gamaschen, Steigeisen, Brust- und Sitzgurte angelegt. Das ca. 8 kg schwere Seil wurde ausgepackt, geknotet und wir klinkten unsere HMS-Karabiner in Abständen von ca. 7 m zum Vordermann ein. Tourleiter Hans Sterr überprüfte nochmals den Sitz von Gurten und Karabinern, ob alle richtig gesichert waren. Mit dem Eispickel in der Hand begann nun der Aufstieg.  Am Gipfel des Il Capütschin

Das Gehen mit den Steigeisen war bald wieder gewohnt, und obwohl es an diesem Tag auch nicht so warm war, gerieten wir doch alle bald kräftig ins Schwitzen. Der Mangel an Sauerstoff in 3000 m Höhe und auch die „Minimal-Ausrüstung" von ca. 15 kg, die jeder mitführen musste, tun ihr übriges. Die Sicht wurde uns immer wieder von Nebel und Wolken versperrt, so dass wir uns hauptsächlich auf das sichere Gehen und Steigen konzentrierten. Um 9.40 Uhr hatten wir den Gipfel des Il Capütschin mit 3386 m erreicht und wie zur Belohnung klarte es kurzzeitig auf, so dass wir die umliegenden Gipfel wie La Muongia (= die Nonne) bewundern konnten. Nach dem obligatorischen Gipfel-Foto und einer kurzen Brotzeit (Müsliriegel und Magnesiumgetränke) machten wir uns wieder auf den Rückweg zur Hütte.

Dabei übten wir an geeigneter Stelle gleich eine fiktive Spaltenbergung. Bei den ersten Schneefeldern legten wir dann auch die Steigeisen wieder ab und verstauten die Pickel fachgerecht. Solchermaßen erleichtert fuhren wir mit unseren Stöcken und teilweise auf dem Hosenboden den Schneehang hinab.

La Sella

 

 

La Sella und Piz Glüschaint im Abendlicht

Am Nachmittag studierten wir auf der Hütte schon die Karten und Führer, um die möglichen Routen zu unserem nächsten Gipfelziel, der La Sella mit 3584 m , zu erkunden.

Am nächsten Morgen nach dem Frühstück legten wir gleich unsere Gurte an und marschierten Richtung Vadret da Roseg (Roseggletscher) zum Vadret da Sella (Sellagletscher) und steiler über Gletscher und Firnhänge und den Westgipfel zum La Sella. Wir hatten an diesem Tag herrliches Wetter und waren zudem die einzige Seilschaft auf der Tour zum La Sella, während wir mehrere Seilschaften auf ihrem Weg zur La Muongia beobachten konnten. Um so mehr genossen wir es, die einzigen am Berg zu sein. Doch beim Gipfelanstieg , an einem Firnhang mit 45° Neigung an exponierter Stelle , löste sich plötzlich an einem Steigeisen eine Flügelschraube, wodurch das Steigeisen nutzlos wurde und die gesamte Seilschaft festsaß. Ein Teil hatte bereits den Gipfelgrat überschritten, der Rest der Seilschaft stand im Hang auf der anderen Seite und nichts ging mehr. Mit viel Glück und klammen Fingern gelang uns die Reparatur des Steigeisens dann doch und wir konnten den Weg zum Gipfel fortsetzen. 

Auf dem Gipfel selbst war sehr wenig Platz, so daß wir unsere Brotzeitpause an einen etwas tiefergelegenen, sonnigen Platz verlegten, wo wir einfach nur in der Sonne lagen und das herrliche Panorama genossen.

Auf dem Rückweg drehten wir noch einige Eisschrauben ein, sprangen über gurgelnde Gletscherbäche und kleine Gletscherspalten. Am Nachmittag auf der Hütte ließen wir uns selbstgebrauten Cappucino und einen Nußkuchen schmecken. Unsere Tagträume wurden dort nur manchmal unterbrochen von lautem Getöse, wenn ein tonnenschwerer Eisblock aus dem nahen Gletscherbruch abriß und krachend auf dem tiefer liegenden Fels zu zigtausend kleinen Eisbrocken zerbarst, wirklich ein gigantischer Anblick.

Am Gipfelgrat von La Sella
Am Dienstag, 1.8.2000, verabschiedeten wir uns von der Chamanna Coaz bei schönstem Wetter und stiegen über Pontresina nach Morteratsch ab, um zu unserem nächsten Domizil, der Boval-Hütte zu gelangen. Diesen Abstecher ins Tal nutzten wir natürlich aus, um bei den Fahrzeugen Kleidung zu wechseln und im Ort Mittag zu essen.

So gestärkt, marschierten wir entlang des Gletschertales zur Boval-Hütte), die eine fantastische Lage in 2495 m Höhe hat und einen gigantischen Ausblick bietet auf den Piz Bernina mit dem berüchtigten Bianco-Grat, den Piz Zupo, Bellavista und Piz Palü. Auf der etwas komfortableren Bovalhütte (z.B. Wasserklosett) planten wir anschließend die Route für unser nächstes Ziel, die Besteigung unseres höchsten Berges, den Piz Morteratsch mit 3751 m.

Kletterei an der Boval-Scharte Zu nachtschlafender Zeit um 4 Uhr hieß es aufstehen am nächsten Morgen, und um 5 Uhr erfolgte der Abmarsch mit Stirnlampen über Geröllfelder und brüchiges Eis. Nach einer Klettereinlage im Fels der Schwierigkeitsstufe 2 überschritten wir eine Scharte und standen plötzlich in einem Firnhang auf der anderen Seite. Dort legten wir die gesamte Ausrüstung mit Steigeisen, Gamaschen, Gurte und Pickel an und seilten uns an. 
Vorbei an mehreren anderen Seilschaften machten wir uns an den langen und mühsamen Aufstieg auf den Piz Morteratsch. Von den anderen Mannschaften bewältigten einige die Höhe und Anstrengung nicht so gut wie wir und mussten sich übergeben. Doch wir hatten uns gut akklimatisiert und waren gut eingestimmt vom Tourenleiter Hans Sterr. Nach einigen Pausen sind wir dann endlich um 9.20 Uhr nach 1256 Höhenmeter Anstieg auf dem Gipfel angekommen. Am Gipfelgrat des Piz Morteratsch
Dort bot sich uns ein tolles Rundum-Panorama: der Bianco-Grat und Piz Bernina schienen zum Greifen nahe und wir sahen u. a. bis zum Ortler.

Piz Bernina mit Bianco-Grat

Für die nächsten Tage war eine Schlechtwetter-Periode angesagt, außerdem hatten wir bereits alle unsere geplanten Ziele erreicht, so entschlossen wir uns, einen Tag früher als vorgesehen, heimzufahren.

Für diese unvergeßlichen Bergerlebnisse bedankten sich alle bei Tourleiter Hans Sterr, der ebenfalls mit seiner Truppe sehr zufrieden war und mit Lob nicht geizte.

Teilnehmer an der Tour waren:
Tourleiter Hans Sterr, Günter Hein, Christian Harrer, Robert Messelberger, Sabine Sautter, Peter Gebel

 

Peter Gebel, 16. August 2000